Kannst du dir vorstellen, dass du etwas suchst, und es in Wirklichkeit gar nicht finden willst? Dass das Suchen zum Selbstzweck wird? Oder dass du vielleicht sogar vor lauter Suchen vergisst, was du eigentlich finden willst? Klingt ziemlich verrückt, und doch glaube ich, dass es auf die meisten von uns zutrifft. Kennst du die Geschichte von dem Mann, der auf der Suche nach dem Haus Gottes ist? Es ist eine Geschichte von Rabindranath Tagore, einem indischen Dichter und Philosophen.
Die Geschichte handelt von einem Mann, der seit Tausenden von Jahren und etlichen Inkarnationen auf der Suche nach Gott ist. Sein Herz brennt danach, Gott zu begegnen und eins zu werden mit der bedingungslosen Liebe, und so sucht er ihn in den entferntesten Winkeln des Universums. Kein Rückschlag kann ihn entmutigen, keine Enttäuschung ist so groß, dass sie ihn veranlassen würde, seine Suche aufzugeben. Du kannst dir vorstellen, wie unermesslich seine Freude ist, als er nach dieser endlos langen Zeit der Suche plötzlich an einem Haus vorbei kommt, auf dem geschrieben steht: „Haus Gottes“. Das Herz des Mannes macht Luftsprünge, er ist selig, endlich am Ziel seiner Reise angekommen zu sein. Voller Aufregung und freudiger Erwartung stürzt er die Treppen zum Eingang des Hauses hinauf, doch kurz vor der Tür hält er plötzlich inne. In seinem Kopf geht es rund: „Was, wenn dies tatsächlich das Haus Gottes ist? Dann ist meine Suche zu Ende. Dann habe ich nichts mehr, ich bin ein Nichts.“ Über viele Tausende Jahre hatte er sich mit der Suche nach Gott identifiziert. Sie war zu seinem Lebensinhalt und zu seiner Persönlichkeit geworden. Sie hatte ihm Identität, Sinn und Wichtigkeit verliehen. Die Suche hatte sein Ego genährt und gepflegt. Er hatte viele interessante Geschichten über seine Gottessuche zu erzählen – lustige und leidvolle, aber in Wirklichkeit hatte er nie die Absicht, Gott wirklich zu finden. Und so wendet er sich voller Panik vom Haus Gottes ab. Seine größte Sorge ist es, dass Gott herauskommen und ihn Willkommen heißen könnte, noch bevor er überhaupt angeklopft hat. Und so zieht er sich die Schuhe aus, schleicht langsam und so leise wie nur möglich die Treppen wieder hinunter, nimmt seine Beine in die Hand und rennt und rennt und rennt so schnell er kann davon. Und heute? Heute ist dieser Mann immer noch auf der Suche nach Gott. Aber er weiß jetzt, wo Gott wohnt, und damit weiß er auch genau, wo er ihn nicht suchen darf.
Ich erzähle diese Geschichte oft in Verbindung mit einem Herzöffnungsritual. Ich glaube, für viele von uns ist die Suche nach Liebe (= Gott) zum Selbstzweck geworden. Wir suchen, aber wir wollen gar nicht wirklich finden. Oft genug machen wir uns wichtig über unsere spirituelle Suche, sie gibt uns einen Wert und das Gefühl, anderen moralisch überlegen zu sein. Sie vergrößert unser Ego. Im Suchen bleiben wir ewig in der Illusion der Getrenntheit, wir sind entfernt von dem was wir begehren, im Finden dagegen werden wir eins. Doch eins zu werden bedeutet den unaufhaltsamen Tod unseres Ego. Es bedeutet, unsere Wichtigkeit und unsere Ich-Identifikation aufzugeben.
Wir alle sehnen uns danach, wieder in Verbindung und im Einklang mit unserem Herzen zu leben und aus der Fülle der Liebe heraus zu schöpfen. Wir sehnen uns danach, Liebe zu geben und Liebe zu empfangen. Wir suchen überall nach der Liebe, aber wir fürchten uns davor, sie zu finden. Sie ist in DIR: Dein Herz ist das Zentrum der bedingungslosen Liebe, das Haus Gottes. Du kennst es, aber du meidest es aus Angst, dich selbst zu verlieren. Und so bleibst du lieber weiter in deinem altvertrauten Schmerz, suchst im Außen nach Verantwortlichen für deine Liebe und dein Leid, kramst in der Vergangenheit und sorgst dich um die Zukunft, statt endlich das Haus Gottes zu betreten.
Viele Menschen beklagen, dass sie eine Mauer um ihr Herz hätten, die es ihnen unmöglich mache, ihre Liebe zu leben und ins Vertrauen zu gehen. Manche nehmen eine dicke Mauer aus Stein wahr, andere einen undurchdringbaren Stacheldrahtzaun, wieder andere einen Wall aus Feuer, und einige erleben ihr Herz im Würgegriff einer Eisenfaust. Hast du auch eine solche Empfindung: Gratuliere! Das bedeutet, dass du immerhin schon soweit bist, dass du das Haus Gottes kennst. Du weißt, wo die Liebe wohnt, aber dein Ego ist so erfindungsreich, dass es dir vorgaukelt, dieses Haus sei uneinnehmbar. Falls du doch mal in die Nähe kommen solltest, dann hat dein Ego bestens dafür gesorgt, dass du nicht ins Innerste vordringst. Aber erkenne endlich: Diese Mauer existiert nicht wirklich, sie ist nur eine Illusion. Gott würde dir nie den Zutritt zu seinem Haus verwehren. Nur du selbst kannst das. Du hast die Wahl: du kannst noch die nächsten zwanzig Jahre beteuern, dass du dein Herz nicht öffnen kannst, dass da noch so viele Verletzungen und Angst und Schmerz sitzen. Und du kannst die restliche Zeit deines Lebens damit verbringen, diese Verletzungen und Ängste zu heilen, und dich weiter über die verzweifelte Suche nach Liebe und Erkenntnis definieren. Ich kann dir versprechen, die Verletzungen werden nie enden, es wird genug da sein, um dich bis ans Ende aller Zeiten damit zu beschäftigen. Du kannst aber auch einfach sagen: „Ich öffne mein Herz – jetzt!“ Und in diesem Moment geschieht das Wunder!
Hab den Mut, endlich am Haus Gottes anzuklopfen. Finde die Liebe, statt sie weiter zu suchen. Werde eins mit deiner wahren Essenz. Du bist die Liebe und das Licht! Wie lange willst du noch vor dir selbst davon laufen? Ja, etwas in dir wird sterben – aber nur, damit DU SEIN kannst. Geh in dein Herz, lass alles los und empfange alles! Es gibt nichts, was du noch tun müsstest.
Ich wünsche dir und mir, dass uns der heilige Raum unseres Herzens im neuen Jahr immer mehr zur dauerhaften Heimat wird und sich unser Weg der Liebe frei vor uns entfalten kann.
Guten Tag Christine Samira,
schöner Name, einer meiner Töchter heißt Samirah. Nachdem Kommentar zur Absichtslosigkeit noch einer zu diesem wieder wunderbaren Artikel von Ihnen.
Passend zu dem Wechsel in das neue Jahrtausend hat sich mein Leben drastisch verändert. Sehr großen beruflicher Erfolg mit großen Problemen im persönlichen Bereich (letztlich einer Scheidung) hatte ich losgelassen und mich auf die spirituelle Suche gemacht. Da hatte ich noch das Bedürfnis nach einem spirituellen Meister (ich war immerhin schon über 40 Jahre alt). Nach einiger Zeit und einigen Rückmeldungen aus meiner früheren Firma (da hatte ich vollkommen unbewusst wohl schon viel spirituell gearbeitet) erkannte ich, dass es keinen Meister für mich gibt, da ich schon mit dem besten Meister, sagen wir mal, zusammengearbeitet hatte, dem Leben selbst.
Es hat dann allerdings noch ein paar Jahre gedauert, bis ich einen großen Durchbruch erzielt hatte. Ich war einer Lebenssituation, wo um mich herum einiges sehr schwierig lief. Ich wollte das alles nicht mehr und beschloss darauf hin vollkommen ehrlich zu werden, egal was komme. Zuerst suchte ich in meinem Leben nach Unehrlichkeiten und habe mich ernsthaft bemüht, da einiges gerade zu rücken. Mein Emotionales empfinden hat sich dadurch drastisch verändert. Meine Ängste (diese war früher zeitweise schon phobisch) verschwanden fast vollkommen und gleichzeitig schnellte das Maß an seelischem Schmerz (ohne irgendwelche äußeren Ursachen) in die Höhe. Ich hatte Tage und Woche wo ich einfach an einem Weltschmerz litt, den ich mir seinerzeit nicht erklären konnte.
Das Leben schickte mir darauf hin an der Stelle, an der ich am verwundbarsten bin (meinen Kindern), eine derart große Herausforderung, dass der Dümmste aller Gedanken in mir aufstieg (Suizid). Ich fand dann allerdings eine wirklich gute Antwort und würde das Ganze heute als „Stirb und werde“ bezeichnen (für mich den Kern der christlichen Botschaft). In der Folge hat sich mein Leben sehr sehr deutlich gebessert.
Es gibt da von Viktor Frankl eine schöne Geschichte. Eines Tages kam ein Freund, dessen Frau gestorben war, zu ihm und beklagte sich, wie sehr er unter dem Verlust leide. Frankl fragte ihn drauf hin, was wäre gewesen, wenn er vor seiner Frau gestorben wäre. Der Mann erwiderte, das wäre für sie sehr viel schmerzhafter gewesen. Da sagte Frank, siehe, in dem du einen kleineren Schmerz auf dich nimmst, hast du deiner Frau einen viel Größeren erspart. Damit wurde die Situation für den Mann erträglich und viel besser.
Wir müssen (obwohl ich dieses Wort nicht gerne gebrauche) in schwierigen Situationen dem Leben oft einen Sinn abringen und dann wird es besser.
Meiner Ansicht nach kultivieren wir in unserer Kultur den Opferstatus zu sehr. Was meine ich damit. Einige Situationen, die im Leben passieren, sind schmerzhaft oft sogar sehr. Ich hatte als kleiner Junge (7 Jahre) einen fast tödlichen Verkehrsunfall mit schmerzhaften Folgen (ohne Verschuldung meiner Eltern) und hatte dadurch die Opferrolle (vollkommen unbewusst) auch in mir verankert. Es hat sehr lange gedauert und passiert auch sehr selten heute noch, wenn etwas Schmerzhaftes für mich passiert, ich mich beklagte, was letztlich immer Ausdruck von Leid und nicht von Schmerz ist. Der Schmerz tut einfach weh, ja manchmal sogar sehr. Allerdings wenn man es schafft, das nicht persönlich (Leid ist immer Ausdruck einer persönlichen Geschichte aus der Vergangenheit und eben nicht im Hier und Jetzt) zu nehmen und sich auch nicht bei Gott oder sonst wo darüber beschwert (was wir ja oft bei sehr freundlichen Dingen auch nicht tun), dann verliert der Schmerz die Macht, die wir ihm fälschlicherweise gegeben haben. Es tut dann immer noch weh, vielleicht sogar sehr, aber mehr eben nicht. Wir konzentrieren uns dann darauf etwas für unsere Genesung zu uns tun und verschwenden die Energie nicht uns zu beklagen.
Abschließend möchte ich noch einen Satz über die Suche hinzufügen. Meine anfängliche Suche verwandelte sich nach dem Hinweis eines Freundes (du musst aufhören zu suchen und anfangen zu finden) in die derzeitige Stufe, wo ich aufhöre, zu finden und mich „finden“ lasse. Finden lasse in dem Sinne mich innerlich aus so vielen Verstrickungen, wie möglich (Disidentifikation) befreie und dann einfach mehr offen bin für das, was schon immer in meinem Herzen wohnt. Ich persönlich habe dabei Momente von derart tiefer Rührung oder auch Stille erfahren, die ich gar nicht beschreiben kann und dies auch nicht will. Und auch finden lasse, indem ich absichtslos agiere.
Zu Verstrickungen (was letztlich Verwechselungen sind) möchte ich doch noch einen Satz schreiben. Am Beispiel des Liebhabers von alten Autos. Entscheiden ist zu erkennen, dass es nicht das alte Auto an sich ist, auf das es ankommt (ich mag auch alte Autos), sondern meine Liebe und Hingabe an das Auto sind entscheidend. Sollte ich dann das Auto aufgeben müssen, dann kann ich diese Liebe und Hingabe etwas oder auch jemandem anderen schenken. Ich bin dann in meiner Entscheidung viel freier und eben nicht verstrickt und abhängig.
Auch diesem Artikel von Ihnen wünsche ich wieder sehr viele Leser, damit es sie unterstützt , die Tür in sich zu öffnen.
Herzliche Grüsse
Norbert Fleckenstein
Lieber Norbert,
vielen Dank für dein (ich duze dich einfach, wenn das ok ist) reges Interesse an meinem blog und die guten Wünsche! Jaaa, sich finden lassen statt zu suchen, das ist echte Hingabe und Vertrauen ans Leben. Danke für deine Ausführungen zu den „Verstrickungen“ und das schöne Beispiel mit den alten Autos. Wenn man sich bewusst ist, dass das Objekt der Liebe – und natürlich genauso auch der Wut und des Neids – nur Spiegel und Trigger unserer eigenen Emotionen sind, dann wissen wir, dass wir nie etwas Geliebtes verlieren können, aber auch nie vor unseren eigenen Schatten davon laufen können. Das macht uns – wie du sagst – wirklich frei!
Wie schön, dich als Leser zu haben! Ich habe mich mit Freude von dir finden lassen! 😉
Alles Liebe,
Christine Samira