Wenn wir wach durch’s Leben gehen würden, wären wir erstaunt, wie viele Gelegenheiten zur Heilung wir tagtäglich geboten bekommen. Wir sind einfach blind für die Möglichkeiten der Transformation, weil wir nie wirklich bewusst sind, und nie bei uns sind. Wir schlafen – und das mit offenen Augen! Jede einzelne Gefühlsregung, die wir empfinden, könnte uns zur Meditation werden und uns verwandeln. Doch eine komische menschliche Gewohnheit stellt uns hier immer wieder ein Bein: die Projektion.
Projektion heißt nichts anderes, als dass wir die Quelle für unsere Gefühle im Außen suchen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Liebe handelt oder um vermeintlich „negative“ Gefühle wie Wut, Gier und Hass: Der andere macht mich durch sein Verhalten wütend, und der andere ist es auch, der mir Gefühle der Liebe macht. So scheint es auf den ersten Blick. Doch ist das wirklich die Wahrheit?
Es mag sein, dass ein anderer durch sein Verhalten die Wut in dir antriggert, aber es ist und bleibt deine Wut. Wenn du keine Wut in dir hättest, könnte kein Mensch der Welt dich wütend „machen“. Du würdest reines Mitgefühl empfinden oder könntest das Verhalten dieses Menschen vollkommen neutral sehen, aber nein, es macht dich wütend. Wo ist nun die Quelle dieser Wut – in dir oder im anderen? Genauso verhält es sich mit der Liebe. Du siehst deinen Geliebten als die Quelle deiner Liebe. Er ist es, der dieses warme Gefühl in dir verursacht und dein Herz überfließen lässt. Aber ist das tatsächlich so? Nein! Die Tiefe und Wahrhaftigkeit, mit der du liebst, hat viel mehr mir dir selbst zu tun als mit deinem Geliebten. Die Liebe kommt nicht vom anderen, sie ist in DIR! Indem du deinen Geliebten zur Quelle deiner Liebe machst, machst du dich abhängig und verletzlich. Diese Sichtweise macht die Liebe zur Gefahr. Es ist gefährlich, dein Herz zu öffnen und zu lieben, denn wenn der andere sich aus dem Staub macht, dann ist all deine Liebe weg. Dann hat er dich betrogen, hat dir die Liebe gestohlen. Ohne ihn bleibt dir nichts mehr. Wenn du erkennen könntest, dass du selbst die Liebe bist, die du für einen anderen empfindest, dann wäre dir mit einem Mal klar, dass du dich nur selbst verletzen kannst, indem du deine Liebe zurück hältst. Denn wenn du nicht oder nur wenig lieben kannst, dann hat auch das nichts mit dem anderen zu tun, sondern dann bist du es, der sich selbst von der Liebe abschneidet. Je mehr du lieben kannst, umso mehr vergrößert sich die Liebe in DIR, nicht im anderen. Was auch immer passiert, du weißt, dass der andere dir nie etwas wegnehmen kann, die Liebe in dir bleibt.
Wie können nun unsere Gefühle uns zum Weg der Heilung werden? Sie werden zum Weg der Heilung, indem wir unsere Projektionen zurück nehmen und die Emotion transzendieren. Gewöhnlich kennen wir zwei Arten, mit Gefühlen umzugehen: wir verdrängen sie – was auf Dauer sowieso nicht geht, oder wir agieren sie im Außen aus. Im ersten Fall verletzen wir uns selbst, im zweiten Fall verletzen wir andere. Transzendieren bedeutet, über das Gefühl hinaus zu gehen. Und das können wir nur, indem wir wach sind, das Gefühl ganz bewusst wahrnehmen und es bis zu seiner Quelle zurückverfolgen – also bis tief in unser Innerstes.
Wenn du das nächste Mal wütend bist, dann verschwende keine Zeit mehr darauf, dich auf den anderen zu konzentrieren und ihm die Schuld zu geben, sondern dann sei einfach ganz wach und bewusst bei deinem Gefühl. Verfolge seine Spur immer weiter zurück bis in dein Zentrum. Wenn du an der Quelle angekommen bist, wird sich etwas verändern. Die Energie bleibt, aber sie heißt nicht mehr „Wut“ oder „Aggression“, sondern es ist reine, „unschuldige“ Energie. Und versuche dasselbe mit der Liebe. Wenn du für einen Menschen tiefe Liebe spürst, dann projiziere sie nicht nach außen auf den anderen, sondern verfolge sie ebenfalls zurück in dein Innerstes bis an ihren Ursprung. Warte, bis auch aus ihr reine Energie wird, die nicht mehr unterscheidet zwischen Liebe und Nicht-Liebe, sondern die einfach IST. So lebst du mit jedem Tag mehr ein Leben aus deiner inneren Quelle heraus.
Wenn wir den Mut haben, Projektionen und Kontrolle loszulassen, unsere Gefühle wirklich in ihrer ganzen Kraft zu spüren und sie bis an die Quelle zurück zu verfolgen, dann gibt es keine „guten“ und „schlechten“ Gefühle mehr. Jedes Gefühl ist eine Energie, der ein bestimmter Stempel aufgeprägt ist. Zurückgeführt zum Ursprung aber wird sie wieder zu reiner Energie. Destruktiv ist ein Gefühl nur, wenn wir unbewusst, nicht anwesend sind, und dann ist es gleich, ob es sich um Liebe oder um Hass handelt.