Du hast bestimmt auch schon viele tolle Nächte erlebt, die dir in Erinnerung geblieben sind? Eine besonders aufregende Liebesnacht, eine Nacht im Luxushotel, eine Nacht am Meer unterm Sternenzelt, eine durchtanzte Partynacht… Vergangenen Samstag hab ich auch wieder so eine besondere Nacht erlebt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich im Wald geschlafen, zusammen mit meinem Freund auf Isomatten im Schlafsack. Es war ein tief berührendes Erlebnis. Diese absolute Stille und der tiefe Frieden, die frische, kühle Luft, das helle Leuchten der Sterne durch das Geäst, hier und da mal ein geheimnisvolles Rascheln im Gestrüpp, die Morgensonne, die uns wachküsste – es war wieder einer dieser Momente, in denen ich mich absolut lebendig und präsent gefühlt habe. Gleichzeitig wurde mir, während ich da lag, bewusst, wie wenig wirklich Lebendiges in unserem Alltag existiert. Wir haben uns so weit von der äußeren und von unserer inneren Natur entfernt, dass wir in einer Art künstlichem Kokon existieren, der uns in einer Illusion von Leben gefangen hält, die mit der wahren Natur des Seins wenig zu tun hat. Fernsehen, Kino, Internet – wir lassen uns die Welt aus zweiter Hand nach Hause liefern statt raus zu gehen und zu leben. Fast food, Klatsch&Tratsch, Pornographie – wir verleiben unserem Körper und unserer Seele Müll ein statt uns wirklich zu nähren. Handy, Tablet-PC, Smartphone – wir sind ständig auf Empfang aber kaum mehr fähig zu wahrer, zugewandter, herzzentrierter Kommunikation. Stress, Burnout, Depressionen – wir verschwenden unsere kostbare Lebenszeit mit unbefriedigendem, betäubendem Tätigsein statt mutig unsere eigene Seelenessenz zu entfalten. Opferbewusstsein, Märtyrertum, Leidensgeschichten – wir ergeben uns widerstandslos und frustriert den Wogen des Schicksals statt uns unserer Schöpferverantwortung bewusst zu werden und unser Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Wir haben scheinbar alles, und doch nagt in uns ein großer Hunger nach Leben. Ein Hunger, der krank macht. Die meisten versuchen ihn dadurch zu stillen, dass sie noch mehr konsumieren, sich noch mehr ablenken, noch mehr Rausch- und Adrenalinkicks suchen. Noch mehr Illusion statt echter Lebendigkeit.
Ich glaube, der einfachste Weg, mehr Authentizität, Lebendigkeit und Tiefe in unser Leben zu bringen, besteht darin, dorthin zu gehen, wo uns das echte Leben in seiner überfließenden Fülle erwartet: in die Natur. Erst wenn wir uns wieder einfangen lassen vom Mysterium der Wälder, der Flüsse, der Wiesen, der Berge und Meere, erhalten wir eine Ahnung vom Mysterium unseres eigenen Lebens. Was fühlt sich echter an: Am Samstagnachmittag durch die überfüllte Fußgängerzone zu hetzen auf der Suche nach ein paar neuen Billig-T-Shirts, oder dem Lauf eines Bächleins im Wald zu folgen und seinen Geschichten zu lauschen? Nachts auf einer Wiese zu liegen und mit dem Leuchten der Sterne zu verschmelzen, oder „Germanys next Topmodel“ zu schauen? Klar, ich lebe auch in dieser Welt und in dieser Zeit… ich verlange von niemandem, dass er sein I-Phone und den Fernseher aus dem Fenster schmeißt, dass er sich nur noch von Wurzeln, Nüssen und Beeren ernährt, dass er seinen Job kündigt, aufs Land zieht und einen auf Selbstversorger macht, oder dass er nur noch barfuß und in Säcke gehüllt vor die Tür geht. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, das Leben in seiner ganzen Fülle und auch in seinen modernen Annehmlichkeiten zu genießen und wert zu schätzen – aber eben bewusst und im rechten Maß. Viele Menschen können das nicht mehr, weil ihnen der Kontakt zur Natur und zu ihrem eigenen Herzen vollkommen verloren gegangen ist. Sie sind zu Sklaven des modernen Lebens, der Gesellschaft und ihres eigenen rationalen Verstandes geworden.
Ich will dich dafür begeistern, wieder den Kontakt zur Natur zu suchen. Lass dein inneres und äußeres Geplapper zur Ruhe kommen. Erlaube dir, nicht mit dem kühlen, nüchternen Verstand durch den Wald zu gehen, sondern mit deinem kindlichen Herzen. Lass dich wirklich berühren. So wirst du nicht nur Bäume und Farne und Felsen sehen, sondern es werden sich zauberhafte Welten vor dir auftun: du wirst Gesichter und Gestalten in den Bäumen erkennen, lustige Wohnungen von Erdgeistern entdecken, durch magische Elfen- und Zwergenreiche wandeln, die Präsenz von Einhörnern fühlen, und mächtige Kraftorte aufspüren. Ist diese Welt nicht genauso real wie dein Großraumbüro, der U-Bahn-Tunnel und dein Haus?
Genauso wurde ich zu unserem Schlafplatz im Wald geführt. Während einer Wanderung im Frühjahr entlang eines idyllischen Bächleins im Bayerischen Wald, erblickte ich plötzlich am Ufer gegenüber eine wie verzaubert aussehende Formation aus kleinen Felsen. Es war wie wenn mein Herz zu mir gesprochen hätte, und einem inneren Ruf folgend überquerte ich den Bach und kletterte einige Meter an den Felsen entlang nach oben. Zuerst war ich ein wenig enttäuscht, weil ich nichts Besonderes entdecken konnte. Doch nachdem ich noch ein wenig weiter hinauf gegangen war und mich durch das Gestrüpp geschlagen hatte, stand ich plötzlich an einem unglaublichen Kraftort – eingerahmt von zwei mächtigen alten Fichten und vielen kleinen, jungen Bäumen, einem samtigen, moosbewachsenen Thron in Form eines Baumstumpfs, einer kleinen runden „Sitzgruppe“ aus Steinen und einem großen flachen Steinaltar. In der Mitte zwischen den zwei großen Bäumen war eine starke magnetische Energie zu spüren und es war, als würde an diesem Platz eine große Wärme aus der Erde aufsteigen. Während damals rundherum noch Schnee lag, war genau an dieser Stelle alles geschmolzen. Nachdem ich mich mit den zwei alten Bäumen verbunden hatte und sie mir von dem Ort erzählt hatten, war mir klar, dass ich hier im Sommer übernachten wollte. Zum Glück hat es keinerlei Überredungskunst gebraucht, um auch meinen Freund von dieser Idee zu begeistern.
Und was soll ich sagen – es war ein wundervolles gemeinsames Erlebnis, das auch jetzt nach ein paar Tagen noch nachwirkt. Ich fühle mich unglaublich belebt und frei und energetisiert. Und tief verbunden mit meinem Partner. Und ich habe das Gefühl, auch eine Urangst überwunden zu haben – raus aus der Zivilisation, rein ins Dunkel des Waldes mit seinen unbekannten Bewohnern und seinen unberechenbaren Gefahren. Letztendlich repräsentiert der dunkle Wald ja den unbewussten Teil in uns selbst. Es ist die Angst vor dem Ausgeliefertsein und Alleinsein mit uns selbst, vor den Dämonen und Schatten in uns, die wir nach außen projizieren. Nicht umsonst gehört es zu den Initiationsriten vieler schamanischer Kulturen, dass Heranwachsende alleine einige Tage und Nächte in der freien Natur verbringen, um sich selbst zu finden und durch ihre Ängste hindurch zu gehen. Und das auch noch in einer viel unwirtlicheren Umgebung, die mit wilden und gefährlichen Tieren tatsächlich noch viel realere Gefahren birgt. Da können wir es uns in unseren Breitengraden doch viel entspannter im Schoß von Mutter Natur bequem machen…
Für mich war es auf jeden Fall nicht das letzte Mal, dass ich in diesem Sommer im Wald übernachtet habe…